Farbe lockt in hinreissende Abenteuer
Urs Bugmann, Luzerner Neueste Zeitung, 28.01.2009
Vera Rothamel versteht sich strikte als Malerin. ln der Galerie Kriens zeigt die in Zürich lebende Luzernerin Malerei und Lithografien. Die Bilder von Vera Rothamel lassen mitten hinein in üppige und leuchtende Farbräume blicken. über grünen Linien verläuft im Gittermuster rote Farbe, aus dunkelblau und rot durchschlierten Farbwolken leuchtet helles Blau, weisse, überdimensionierte Blumenformen scheinen sich aus dem Bildgrund heraufzudrängen. «Mir scheint, dass ich jetzt aus dem Vollen schöpfen und ganz frei über meine Mittel verfügen kann», sagt Vera Rothamel. Noch immer ist sie beim Malen voller Entdeckerlust. Doch anders als noch vor Jahren, da sie repetitive Muster als Drucke in die Malerei integrierte oder mit rasterartig bedruckten durchsichtigen Folien experimentierte, sind ihre neuen Bilder ganz voller Entdeckerlust aus der Hand geschaffen, mit dem Pinsel gemalt, Zufälle gestalten mit.
Durch Bewegen des aufgespannten und bemalten Nesselgrunds lässt die Malerin die Farbe waagrecht oder senkrecht fliessen: Der Zufall gestaltet mit. Doch die Reaktion auf diese Zufälle, das Aufnehmen des Entstandenen im fortgeführten Malprozess ist wieder ganz vom Willen der Künstlerin bestimmt. Mit grosser Geste und weitem Atem arbeitet Vera Rothamel auf den zwei Meter breiten, 90 Zentimeter hohen Nesselstoffen. Im kleineren Format, 30 mal 50 Zentimeter oder auch 40 mal 60, ballen sich Farbe und Formen,· die sich hier und dort an Reales annähern und durch Andeutung und Abstrahierung freie Assoziationen wecken, zu einer Intensität, die das Bildformat förmlich sprengen will.
Experimentelle Grafiken
Neben ihren Malereien zeigt Vera Rothamel in der Galerie Kriens ·eine Reihe von Lithografien, die aus einer streng konzipierten und als Versuchsreihe durchgeführten Serie von «Permutationen und Kombinationen» gehören. Ihre Grundlage sind Makro-Aufnahmen von Malereien der Künstlerin, die auf vier Lithosteine übertragen und unterschiedlich eingefärbt wurden. Mit beinahe wissenschaftlicher Akribie untersucht Vera Rothamel hier die Farben und ihr Verhalten, lässt sich von Unerwartetem überraschen und zeigt, worum es ihr auch in ihren Malereien in Öltempera geht: um das Erkunden und Ausloten ihres Mediums, der Malerei.
Wahrnehmungserlebnis
Je souveräner sie dieses Medium beherrscht, umso reicher wird ihre Bildwelt, umso packender das Wahrnehmungserlebnis. Wie sich dabei Ungewolltes und Ungeahntes in das gezielt Angelegte und Beabsichtigte einnistet, das bleibt noch für die Augen der Betrachter ein hinreissendes Abenteuer.