Tandem im Turm. Georgette Maag und Vera Rothamel
Irene Müller, 20.12.2022 als PDF…
Tandem Georgette Maag / Vera Rothamel
Georgette Maag und Vera Rothamel haben für ihre erste professionelle Zusammenarbeit einen kuratorischen Zugang gewählt. Daraus resultierte ein Vorgehen, das sowohl Rückgriffe auf ältere Werke nach sich zog als auch das Sichten der Bildarchive. Dem Präsentationsort – die Abteilungen für Palliativmedizin und Innere Medizin – kommt dies umso mehr entgegen, da hier Respekt und fein Austariertes gefragt sind und nicht die grosse Geste. Die Künstlerinnen haben einen Fokus gewählt, der nicht auf mediale Diskurse oder streng gefasste Inhaltlichkeit setzt, sondern auf einen gemeinsamen Aspekt ihrer Arbeitsweise: das Beobachten. Bei Georgette Maag artikuliert sich dies als eine gegen aussen gerichtete Bewegung: der Blick mit der Kamera auf die Welt, auf Momente der ‹Selbstabbildung› wie in Spiegelungen oder das trompe l’oeuil, auf Orte der Beobachtung. Vera Rothamel wiederum schenkt dem Entstehungsvorgang ihrer Malerei ihre ganze Aufmerksamkeit, lässt der Farbe ihren Eigensinn, begleitet das Fliessen und Stocken mit wachsamem Auge, ehe sie mit Werkzeugen wie Pinsel und Rakel, Walzen oder Tüchern in das Bildgeschehen eingreift. Vera Rothamels Bilder oszillieren zwischen Gerade-Noch-Erkennbarem und abstraktem Ausdruck. Naturformen scheinen zu dominieren, Florales und Gewachsenes lässt sich bei näherem Hinsehen – oder bei einem Schritt zurück – ausmachen. Überlagert oder unterwandert werden diese Schichten der Bildgegenstände von der Sphäre der Farbe, die sich über Setzungen legt oder unter ihnen hervorkriecht, die den Zwischenraum zwischen Bildträger und Auftrag sucht und der Malerei etwas Bewegliches, Liquides verleiht. Es ist ein quasi immer beinahe Greifbares in Rothamels Gemälden, das sich einem Zugriff entzieht, in das Bild zu tauchen scheint, in die Farbe, und das unerwartet an anderer Stelle wieder auftaucht. Der dadurch geweckte Wunsch nach Eindeutigkeit wird von der Künstlerin konsequent enttäuscht, stattdessen bietet sie den Betrachter*innen ein Seh-Erlebnis an, dem starke haptische Assoziationen – Tasten und Schieben, Entwirren und -Bündeln, Aufdecken und Ablagern – zu eigen sind. In den Arbeiten von Georgette Maag steht das Sehen per se im Mittelpunkt. Vordergründig zeigen die Fotografien und Videos den Stadtraum oder Landschaften, oft auch Fortbewegungsmittel, Wartezonen oder Orte der Rast wie Bänke – doch häufig ohne Bildpersonal. Viel eher scheint das Moment der visuellen Kontemplation bildbestimmend, begleitet von liebevoller Ausdauer und Gelassenheit. Demzufolge sind optische Parameter wie Licht und Schatten, der wandernde Sonnenstand und Witterungseinflüsse wie Regen vor der Kameralinse Protagonisten im Bild; sie verwandeln die unprätentiösen Wirklichkeitsausschnitte in ein Bildgeschehen, das ein Vorher und Nachher des im Bild Fixierten ausdrücklich einschliesst. Dass Maag häufig in offenen Werkgruppen arbeitet, ein Thema über viele Jahre hinweg verfolgt und ihre Bilder immer wieder neu ‹auswertet›, unterstreicht, wie wenig der Künstlerin an dem schönen Augenblick und an dem schnellen Bild gelegen ist. Werkauswahl und Platzierung legen von dem kritisch-auslotenden Prozess der kuratorischen Kooperation beredt Zeugnis ab. Die beiden Positionen stehen einander gegenüber, spielen einander Fragen oder Themata zu, fangen Angetöntes auf und führen es in neue Richtungen weiter. Es entsteht eine Art Gespräch, das die Korridore durchzieht, dazwischen ‹Atem holt› und neuen Schwung aufnimmt. Die sorgfältige Platzierung der Arbeiten erzeugt immer wieder Situationen, denen erzählerisches Potenzial innewohnt. Beispielsweise blicken Menschen in den Wartezonen auf einen im Abendlicht leuchtenden Alpengipfel, der sich auf den zweiten Blick als Spiegelbild erweist; oder sie sehen sich leeren Parkbänken gegenüber, zu denen sich am Rand des Gesichtsfeldes dann botanische Aperçus gesellen. Das Bild im Kopf, die Kraft der Imagination, das Atmosphärische in Malerei und Fotografie. In diesem Sinn ist auch der Eingangsbereich zu verstehen: Georgette Maags ‹Fototapete›, die das ungenutzte Schiebefenster in eine andere Welt – diejenige des Wucherns und Wachsens – öffnet, während die Malerei von Vera Rothamel gerade in ihrer abstrakten Greifbarkeit eine andere Idee von visueller Wirklichkeit anbietet. Verkürzt könnte man auch sagen, dass die beiden Künstlerinnen der spezifischen Realität auf diesem Stockwerk mit dem unaufgeregten Sein von Bildern als Blick auf und in die Welt begegnen.